Dies ist die Geschichte über Frauen aus dem kleinen Ort Kruščica bei Vitez, deren Aktionen in kürzester Zeit große gesellschaftliche Veränderungen in ihrer Gemeinde ins Rollen gebracht haben. Sie stellten sich mutig auf eine Brücke und hinderten mit ihren Körpern eine Spezialeinheit der Polizei daran, den „sicheren“ Übergang einer Bautruppe zu ermöglichen. Die Polizeikräfte stellten sich dem Investor zur Verfügung und verhielten sich gesetzeswidrig, indem sie übermäßige Gewalt gegenüber den Einwohnern anwandten, die für den Erhalt des Kruščica Flusses kämpfen, auf dem der Bau zweier Miniwasserkraftwerke geplant ist und die Baugenehmigungen auf äußerst suspekte Weise beschafft wurden.
Trotz der Einschüchterungen seitens der Polizei blieben die Frauen standhaft. Im Gegenteil, sie waren bestärkt in ihrem Vorhaben, den Kampf aufzunehmen und an mehreren Fronten zu kämpfen – ganztägige Schichten auf der Brücke am Fluss und gleichzeitig der juristische und politische Kampf. Was in dem kleinen ländlichen Örtchen Kruščica gerade geschieht, ist in vielfacher Hinsicht wichtig: Die Einwohnerinnen und Einwohner haben uns gezeigt, dass es möglich ist, sich zu organisieren und breite Unterstützung zu bekommen, sogar in einem ethnisch geteilten Gebiet; dass die Emanzipation der Frauen eine der wichtigsten Aufgaben unserer Gesellschaft ist und diese nicht durch rein formale Erfüllung der Gesetzesanforderungen zu erreichen ist, dass der Kampf für das Gemeingut sie stärkt und somit positive Erfahrungen bei der Selbstorganisation, Solidarität und Gemeinschaft bietet. Gerade in diesem Kampf erkennen wir die Elemente, die Danijela Dolenec als wichtigsten Vorteil der heutigen Kämpfe für das Gemeingut hervorhebt: Einstehen für demokratische Prinzipien bei der horizontalen Selbstverwaltung und partizipativen Entscheidungsvorgängen. Diese Kämpfe beruhen auf der menschlichen Kooperation und einer Philosophie, die auf wirklichen Bedürfnissen beruht, im Gegensatz zu denen, die auf den Interessen Einzelner beruhen und Kapitalismus und Staat kritisieren.
Dieser Text ist nach Gesprächen mit Hata Hurem, Amela Zukan und Tahira Tibold entstanden, die ihre Wache am Kruščica Fluss halten und mit noch drei ihrer Mistreiterinnen zu Mitgliedern des Ortsrates wurden. Die Gespräche fanden in einem Gebäude neben der Brücke der tapferen Frauen von Kruščica statt. Mit zunehmend kaltem Wetter musste eine Unterkunft erbaut werden; Zuerst war es ein kleines, unansehnliches Gebäude, das mit Plastikplanen abgedeckt wurde. Mit der Zeit bekam das Gebäude eine Wärmedämmung, einen Holzofen und eine Grundausstattung, damit die langen Winternächte leichter zu ertragen sind. Mittlerweile ist diese kleine Unterkunft das Herz der Gemeinde. Hier versammeln sich die Menschen, unterhalten sich, tauschen ihr Wissen und ihre Erfahrungen aus, trinken Kaffee, essen Kuchen und feiern Geburtstage, und man kann hier gute lokale Produkte aus ihren Gärten probieren. Mich erwartete man mit einer hausgemachten Spezialität – einem frisch geernteten und gebackenen Kürbis. Die Gastgeberinnen scherzen, dass dies einmal ein Museum wird, das an ihren Kampf und die Rettung Kruščicas erinnert. All dies zeigt, wie sich der Kampf auf die Frauen dieses Ortes auswirkt und was er ihnen bedeutet. Eine von ihnen hat dies folgendermaßen versinnbildlicht: „In diesen vier Monaten auf der Brücke sind meine Kinder gewachsen, und ich habe es nicht einmal mitbekommen.“
Amela hat uns erzählt, wie alles angefangen hat
„Vom möglichen Bau der Miniwasserkraftwerke hat vor einigen Monaten als erster unser Lehrer Haris Hurem aus der Ortschaft erfahren. Er hat einen tollen Job gemacht – er hat die Bevölkerung informiert und versucht, das Projekt auf juristische Weise zu stoppen. Unsere erste Reaktion war die Säuberung von Ausflugszielen, Flussbetten und der Umgebung, da man alles absichtlich hat verwahrlosen lassen, wahrscheinlich um die Menschen schneller von ihrem Kampf abzubringen oder sie sogar dankbar dafür zu machen, dass sich endlich jemand dieses Gebietes annimmt. Außerdem haben wir eine Petition gestartet und eine Demo vor der Ortsverwaltung Vitez organisiert, aber niemand hat uns angehört. Bereits am 2. August (2017) fuhr der erste LKW auf die zukünftige Baustelle, aber diesen haben wir sofort aufgehalten und er fuhr zurück. Seitdem haben wir hier einen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst. Auch wenn nicht alle Einwohnerinnen und Einwohner an der Wache teilnehmen, haben wir doch die Unterstützung der meisten in unserem Kampf gegen den Bau der Wasserkraftwerke. Die Gründe für die Nicht-Beteiligung an den Wachen sind verschieden, meistens haben die Menschen Angst vor Problemen, die sie auf der Arbeit bekommen könnten, denn dies ist eine ärmliche Gemeinde – nicht viele haben die Chance auf Arbeit, die Menschen werden mit ihrer Existenz erpresst. Noch ein weiterer LKW hat versucht, durchzukommen, natürlich erfolglos. Dann haben wir erfahren, dass am 24. August eine Spezialeinheit der Polizei kommt, so dass wir Frauen uns dazu entschlossen haben, uns auf die Brücke zu setzen. Wir haben gedacht, sie tun uns nichts, vor allem haben wir nicht geglaubt, dass sie uns schlagen würden, denn wir sind unbewaffnete Frauen. An diesem Abend haben wir uns in großer Zahl auf der Brücke versammelt. Um drei Uhr morgens saßen wir auf der Brücke und warteten. Die Polizei traf vor der Zeit des Morgengebets ein, gegen 5 Uhr morgens. Wir hielten uns fest an den Händen, denn wir wussten, dass sie versuchen würden, uns zu vertreiben, aber wir haben nicht damit gerechnet, dass sie Gewalt anwenden würden. Sie stellten uns ein Ultimatum, wir sollten innerhalb von drei Minuten die Brücke räumen, andernfalls würden sie dies tun. Sie sagten uns, wenn wir uns weigern würden, den Befehl zu befolgen, würde man uns alle verhaften und wir würden hohe Geldstrafen bekommen – sie haben versucht, uns einzuschüchtern. Sie sagten uns, sie haben Befehl zum Überfahren, Einreißen, Werfen… Hier war die Polizei auf der Seite der Politik, nicht der des Volkes. Wir haben uns geweigert aufzustehen, denn wir wollten auch weiterhin nicht glauben, dass sie uns wirklich wehtun, aber da haben wir uns getäuscht. Das Ultimatum war noch nicht verstrichen, da griffen sie uns schon an, als wären wir Schwerstkriminelle. Man hörte Schreie, Lärm, laute Rufe, das dumpfe Geräusch der Plastikschilde, mit denen sie uns schlugen, auf die Beine, Arme. Es war schlimm. Einige der Frauen haben sie über den Weg geschleift, sie beleidigten uns und fluchten. All dies geschah, ohne dass sie uns irgendeinen schriftlichen Befehl oder eine Genehmigung gezeigt haben. 23 Frauen wurden in Gewahrsam genommen, sie wurden buchstäblich von der Brücke in den Bus geschleift, den die Polizei dabeihatte. Sie haben eine Blockade zwischen den Einwohner/innen und den verhafteten Frauen gebildet, wir wussten nicht, was mit ihnen geschieht. Wir hatten alle Angst. Den Frauen, die ärztliche Hilfe bekamen, wollten sie keine Untersuchungsbescheinigungen ausstellen, ohne die wir aber vor Gericht die Angriffe nicht beweisen können. Das Verhalten gegenüber den Verhafteten war unmenschlich. Ein kalter Raum voll unangenehmer Gerüche und verängstigte Menschen, die nicht verstanden, warum sie verhaftet wurden. Warum greifen sie uns an, wir sind doch keine Verbrecher, wir verteidigen nur unser Recht auf Trinkwasser und auf unser Leben. Das ist doch das Recht aller Menschen, oder?! Die übrigen Einwohner/innen haben sich versammelt und sind gemeinsam vor die Polizeidienststelle gegangen, um die Freilassung der Frauen zu fordern. Niemandem von uns war klar, warum sie sie so lange in Gewahrsam hielten. Alle Aussagen, die sie machten, waren in der Eigenschaft von Zeugen, anstatt dass sie befragt werden und ihre Aussagen einzeln aufgenommen wurden. Danach wurden sie erneut in das Büro gebracht, einzeln, um sie zu warnen: Sollten sie wieder auf die Brücke gehen, werden sie wieder von der Spezialeinheit der Polizei verhaftet und bekommen hohe Geldstrafen. Mit Drohungen wollten sie erfahren, wer unser Anführer ist und warum wir das tun. Aber unsere Antwort war simpel – wir sind alle Anführer, denn unser Anführer ist der Fluss und wegen unserer Lebensquelle werden wir nicht aufgeben.
Ich bin der Meinung, dass wir nichts Illegales getan haben. Wir haben nie den Zufahrtsweg blockiert und jemanden an der Durchfahrt gehindert, der Weg wurde lediglich für die Mechanik und die Bauarbeiter gesperrt. Wir haben sogar vor drei Monaten ein Schreiben an sieben Institutionen geschickt und um eine Äußerung zu diesem Fall gebeten (an den Ortsratsvorsitzenden und den Ortsrat von Vitez, an das Parlament der Föderation BiH, den Gesundheitsrat der Gemeinde Vitez, das föderale Gesundheitsministerium, das Ministerium für Gesundheit und Soziales des Kantons Una-Sana, das Parlament BiH, dem Ombudsmann für Menschenrechte, der Kommission für Sicherheitsfragen des Parlaments BiH). Wir haben eine Revision der Dokumente gefordert, da alles in unserer Ortsverwaltung begonnen hat. Angeblich hat es eine öffentliche Sitzung zu diesem Projekt gegeben, aber wir hatten keine Kenntnis davon. Das muss man sich mal vorstellen: Eine öffentliche Sitzung über die Ausstellung einer Umweltgenehmigung findet in einem privaten Gastronomiebetrieb statt. Sie sagen, es seien etwa 40 Personen zugegen gewesen. Wie kann es denn sein, dass nur etwa 40 Personen darüber entscheiden, dass eine Konzession für den Bau eines Wasserkraftwerkes am Kruščica-Fluss erteilt wird, wenn in unserer Gemeinde um die 2.500 Menschen leben? Keiner der Ortsansässigen wusste etwas von dieser Sitzung, außer den dort Anwesenden. Wie ist es möglich, dass eine so wichtige Entscheidung für unsere Gemeinde in einer geheimen Sitzung getroffen wird? [1] Sie sind davon ausgegangen, dass sie uns einschüchtern und wir uns auflösen, aber sie können es nur versuchen, denn jeder Tag, den wir länger hier verbringen, gibt uns neue Kraft“, erzählt uns Amela.
Sogar das Amtsgericht Travnik hat festgestellt, dass es keine hinreichenden Beweise dafür gibt, dass auf eine zweifelsfreie Art und Weise die Verantwortung jedes einzelnen Angeklagten bewiesen werden kann, und das Verfahren wurde eingestellt. Dies kommentierte auch Enes Salkić: „Ich verstehe nicht, dass Bürger/innen angeklagt werden, die die Natur schützen wollen, die das Gewässer schützen wollen, das uns alles bedeutet, unsere Lebensquelle ist. Ich verstehe es nicht. Wie soll man denen mit denen umgehen, die die Natur zerstören, wann man schon so mit uns umgeht?“
Auch die Ortsverwaltung gehört uns!
Die Ortsansässigen sind der Meinung, dass die Probleme vom Ortsamt Kruščica ausgehen, das gegen die Interessen der Einwohner/innen von Kruščica handelt. Im weitesten Sinne ist die Beteiligung an öffentlichen Diskussionen die praktische Nutzung des politischen Rechts, an Debatten über grundlegende gesellschaftliche, politische und ökonomische Institutionen und Prinzipien der Organisation gesellschaftlicher Beziehungen teilzunehmen. Auch wenn die Ortsverwaltung die unterste Ebene der direkten Bürgerbeteiligung an Entscheidungsprozessen über lokale Geschäfte darstellt, ist ihnen diese Art der lokalen Selbstverwaltung am nächsten. Am Beispiel Kruščica sehen wir, wie wichtig eine frühzeitige Einbeziehung und das Monitoring der Arbeit der Ortsverwaltung ist. Wir können hier behaupten, dass diese Form der Selbstorganisation der Bürger/innen, die auf Prinzipien der Selbstverwaltung beruht, mit Absicht devolviert wurde, um jedwede Beteiligung der Bürger/innen zu verhindern. Man sollte nicht vergessen, dass die Ortsverwaltung ein breites Spektrum an wichtigen Rollen spielen kann, wie etwa die Vermittlerrolle zwischen Lokalverwaltung und Bürger/innen, der Koordination der Bürgeranträge, das Erfüllen diverser Dienstleistungen, die Initiierung verschiedener gesellschaftlicher und politsicher Aktivitäten in der lokalen Gemeinde, Orientierungshilfen für Bürger/innen bei der Beteiligung an Entscheidungen usw.
Wegen dieser besagten Rolle und ihres ausdrücklich politischen Charakters sind die Ortsämter offensichtlich Zielscheiben für Einflussnahmen der politischen Parteien, was eine offene Artikulierung von lokalen Interessen oft unmöglich macht. Die Arbeit vieler Gemeinden wird behindert oder direkt kontrolliert von politischen Parteien, was an den Machenschaften einiger Ortsratsmitglieder sichtbar wird, die die Interessen der lokalen Gemeinde den Interessen der Partei unterstellen, wie es in Kruščica der Fall war. Politische Parteien haben wesentlich mehr Ressourcen zur Verfügung, um Wähler/innen zu mobilisieren, als unabhängige Kandidat/innen. Daher ist es einfacher für sie, organisiert in den Gemeinden zu handeln und an Positionen im Ortsrat zu kommen. Allerdings haben sie nicht mit dem außerordentlichen Mobilisierungscharakter gerechnet, den ein Kampf für das Gemeinwohl haben kann, vor allem für Flüsse, mit denen die Menschen stark emotional verbunden sind. Dies hat uns auch Hata Hurem bestätigt, die nun Ortsratsmitglied ist. Sie ist der Meinung, dass die Rebellion die Menschen aufgerüttelt hat: „Die Menschen haben geschlafen und waren blind, bevor der Kampf gegen den Bau der Wasserkraftanlage begonnen hat. Dagegen haben wir uns aufgelehnt. Unser Kampf ist auch ein Kampf für unsere Vision von Kruščica. Einst standen hier drei Hotels. Auch heute noch ist dies ein populäres Ausflugsziel, denn die Natur hier ist wunderschön. Wir wollen unsere Arbeit auf die Erhaltung der Natur und die Entwicklung unserer Ressourcen für Freizeit und Erholung ausrichten, so, wie wir es früher auch hatten.“
Noch bevor Wahlen in der Gemeinde stattfanden, wurde bei einer Bürgerversammlung der Antrag auf ein Misstrauensvotum gegen den Vorsitzenden und die Ortsratsmitglieder wegen Nichterfüllung ihrer Ämter gestellt. Seitdem war sie drei Monate ohne Ortsvorstand, bis zu den Wahlen am 4.11.2017. Es heißt, dass die Wahlbeteiligung nie größer war im Vergleich zu den vorherigen Wahlen zum Ortsrat und den Ortsratsmitgliedern, als man meistens gar nicht wusste, dass sie stattfinden. Nun gingen mehr als 400 Bürger/innen zu den Wahlen, bei denen sogar der Versuch einer Sabotage unternommen wurde: Das Kabel eines Scheinwerfers auf dem Schulhof, wo die Wahlen stattfanden, wurde durchgeschnitten, was auch der Elektriker bestätigte, der den Schaden behoben hatte. Außerdem hatten sie es abgelehnt, die Wahlen am Sonntag gegen 14.00 Uhr zu organisieren, weil dann die meisten Bürger/innen zur Wahl kommen würden. Stattdessen fanden die Wahlen am Samstag um 17.00 Uhr statt, als es bereits dunkel und sehr kalt war. Trotz allem war der Wahlvorgang erfolgreich. Nachdem die Männer sich nicht einigen konnten, wen sie zur Wahl aufstellen sollen, haben die Frauen sich entschlossen, selbst zu kandidieren. Unter den Männern war es zu Auseinandersetzungen darüber gekommen, wie die Positionen verteilt werden – wer Vorsitzender und wer Ratsmitglied wird. Die Frauen haben den Streit beendet und entschieden, alle Aktivitäten bezüglich der Wahl zu übernehmen. Wichtig ist, zu erwähnen, dass ihnen die Männer ihre volle Unterstützung gegeben haben. Noch einmal haben die Frauen ihre Entschlossenheit unter Beweis gestellt, ein für ihre Gemeinde wichtiges Ereignis anzuführen, da sie erkannt haben, wie wichtig die Übernahme der Ortsverwaltung ist, da die Probleme mit dem Wasserkraftwerk genau dort begonnen haben. Sie haben einige Namen für das Amt der Ortsrätin vorgeschlagen. Danach gingen sie von Tür zu Tür und sprachen mit den Einwohner/innen; nach ausführlichen Beratungen entscheiden sie gemeinsam, dass Tahira Tibold die beste Wahl sei. Ihren Aussagen nach sei sie ein ehrliches und respektables Mitglied der Gemeinde mit viel Lebenserfahrung. Die übrigen Frauen wurden aus der Gruppe derer, die am aktivsten waren, gewählt: Jene, die 24 Stunden täglich auf der Brücke standen, die Nachforschungen betrieben, Dokumente sammelten, die einfach von Anfang dieser Ereignisse an dabei waren. Wie einer der Einwohner sagte: Sie sind unsere Illegalen, dabei dachte er an die Wiederstandbewegung im Zweiten Weltkrieg. Denn gerade die Kampferfahrung war das Zünglein auf der Waage für eine Veränderung der Machtgefüge und der Verhältnisse innerhalb der Gemeinde.
Es ist wichtig zu erwähnen, dass es sich hier um junge Frauen ohne politische Erfahrungen oder einen hohen Bildungsgrad handelt. Politik hat sie nie interessiert, bis zu dem Moment, als sie sich auf die Brücke setzten, um ihren Fluss zu beschützen. Sie kennen sich nicht mit den Prozedere aus und lernen erst jetzt, lesen die Statuten, aber sie sagen, sie schämen sich nicht deswegen und sie haben auch keine Angst vor der Herausforderung, denn sie haben die Unterstützung vor allem ihrer Gemeinde, aber auch ihrer Ehemänner, denn viele von ihnen müssen ihre Verpflichtungen im Haushalt (die meisten sind Hausfrauen) ihren Ehemännern überlassen, wenn sie zu ihrer 24-Stunden-Schicht auf die Brücke gehen. Sie sagen, dass eine Veränderung im Verhältnis der Männer gegenüber den Frauen und der Rolle der Frau in der Gesellschaft bemerkbar geworden ist. Bisher war man der Ansicht, dass der Platz der Frau im Haus ist. Nun haben sie jedoch erkannt, dass ihre Rolle wesentlich bedeutender und nicht nur auf Hausarbeiten und Kindererziehung reduziert ist. Jetzt, da sie sich selbst an den Herd stellen und Frauenarbeit verrichten mussten, während die Frauen am Fluss Wache standen, erkennen sie die eigentliche Stellung der Frau in der Gesellschaft. An dieser Stelle sollte auch Silvia Federici erwähnt werden, die erklärt, dass die Frauen abhängiger vom Zugang zu natürlichen Ressourcen waren als die Männer und das eine Privatisierung der Ressourcen wie des Wassers sich wesentlich mehr auf den Alltag der Frau auswirken würde, weshalb es auch sie sind, die den Kampf für das Wasser anführen. Die Frauen sind die treibende gesellschaftliche Kraft, die sich der vollständigen Kommerzialisierung der Naturressourcen in den Weg stellt. In Kruščica erkennen wir die Grundzüge des weiblichen Kommunalismus (grassroots women's communalism) – Frauen bilden nun die kollektive Identität, ändern die Machtverhältnisse zuhause und in der Gemeinde und eröffnen Prozesse der Selbsteinschätzung und Selbstbestimmung, aus denen wir sehr viel lernen können[2].
Ökonomisch macht sich der Kampf auf verschiedene Arten bemerkbar; neben den Hausarbeiten erledigen die Frauen auch Arbeiten in der Landwirtschaft, aber wegen der ständigen Schichten auf der Brücke verderben ihre Feldfrüchte, wie etwa die Himbeerplantagen, in die sie viel Geld investiert haben. Außerdem haben sie keine Zeit, Produkte herzustellen, die sie verkaufen, wobei der Erlös doch einen bedeutenden Teil des Haushaltsbudgets ausmacht. Die Geldbuße, zu denen sie verurteilt wurden, mögen manchen als geringfügig erscheinen, aber 200,00 KM ist in kleineren Gemeinden für manche Familien die Hälfte des Monatseinkommens. Ganze Familien leben oft von nur einer Rente. Einst gab es hier drei Gastronomiebetriebe. Jetzt, sagen sie, hat niemand mehr eine Perspektive.
Tahira Tibold, die neugewählte Vorsitzende des Ortes Kruščica hat uns erzählt, was sich bei den Lokalwahlen in der Gemeinde ereignet hat, wie sie es geschafft haben, sechs Frauen in einer Gemeinde, in der der einzig angemessene Ort für eine Frau Haus und Herd und keinesfalls die Politik war, zur Wahl aufzustellen, und was ihre Pläne für die Zukunft seien.
„Wir sind insgesamt 11, sechs Bosniak/innen, vier Kroat/innen und ein Roma. Bisherige Praxis war es, dass jede ihr eigenes Ding macht. Aber nach diesen Wahlen haben wir entschieden, dass sich das ändern muss. Wir haben ein Meeting angesetzt und vereinbart, dass wir ab jetzt zusammenarbeiten.
Wir haben uns die Berichte von 2014 und 2015 geben lassen und mussten feststellen, dass enorme Mittel verausgabt wurden, etwa 500.000 KM, ohne dass die Gemeinde etwas von diesen Investitionen mitbekommen hat oder dass irgendwelche Projekte sichtbar wären – was eigentlich unmöglich sein dürfte, wenn man die Höhe der Summen bedenkt. Daher haben wir gesagt: So geht das nicht mehr, denn, wenn wir nicht zusammenhalten, ist der Spielraum für Manipulationen umso größer. Nur wenn wir zusammenarbeiten, wird es für alle besser, so wie früher. Dieser Kampf hat auch die Türen für ein friedliches Zusammenleben geöffnet. Mein Vertreter ist Slaven Barišić. Alle Projekte werden bis zum Ende durchgeführt, nicht wie bisher – es wird immer an etwas gearbeitet und dafür bezahlt, aber wir haben keine Ahnung, was gebaut wurde, noch wie weit man in der Durchführung ist. Die Säuberung des Flussbeckens zum Beispiel kostet die Gemeinde jedes Jahr etwa 130.000 KM. Wir verstehen aber nicht, wie sie das Flussbecken säubern, wenn wir noch nie jemanden vor Ort gesehen haben. Wir Einwohner/innen sind diejenigen, die das Flussbecken säubern, und zwar freiwillig. Mit dem Eintritt in den Ortsrat haben wir ein großes Problem gelöst, und zwar haben wir jetzt eine Rechtskörperschaft, durch die wir handeln können. Alles was wir bisher versucht haben, scheiterte an dem Einspruch, wir wären eine informelle Gruppe und hätten kein Recht. Ich selbst habe auch keine politische Erfahrung, aber ich wende das Prinzip learning by doig an. Ich weiß, dass die Ortsverwaltung sich überwiegend mit Kommunalien, Müllentsorgung, Wasser, Kanalisation usw. beschäftigt. Mir kommt der Ort wie eine kleine Gemeinde vor. Unser Plan ist es, den Ort so lebensfreundlich wie möglich zu machen. Das erste und wichtigste Ziel ist der Schutz unseres Flusses. Wir wollen uns mit den benachbarten Ortschaften zusammentun, um gemeinsam zu versuchen, dieses Gebiet nach vorne zu bewegen.“
Tahira erklärte uns auch, warum dieser Kampf eigentlich ein Kampf ums Überleben ist.
„Alle erhalten eine Wasserversorgung, nur wir, die hier leben, haben keine. Die Wasserleitungen sind verlegt, sie haben auch Schächte angelegt, aber Wasser haben wir keines. Das Projekt der Wasserversorgung in unserem Ort ist nie beendet worden. Alle nutzen ihre eigenen Quellen, aber das ist nicht sicher, die Rohre gefrieren, die Wasserqualität ist nicht gesundheitlich unbedenklich. Zwei Jahre werden uns schon Versprechen gegeben, und nichts. Zenica hat eine Konzession aufs Wasser[3] aus Kruščica, und auch Vitez versorgt sich zum Teil aus dieser Quelle, nur wir haben nichts davon. Dies ist ein Kampf ums Überleben, um Trinkwasser. Ohne Strom können wir überleben, aber nicht ohne Wasser. Wir kämpfen dabei nicht nur um unser Überleben, sondern um das aller Wesen, denen der Fluss eine Trinkwasserquelle ist. Uns ist aufgefallen, dass das Wasser immer weniger wird.
Einst flossen hier 520 l/min. durch, jetzt nur noch 260 l/min. Die Ergiebigkeit der Quelle wird zunehmend geringer. Statt die Quellen zu schützen, haben sie sogar in Wasserschutzgebieten mit den Bauarbeiten begonnen. Ein 10 m tiefes Sammelbecken soll gegraben und die Quellen dort hin geleitet werden. Auch die, die für unsere Wasserversorgung verwendet werden. Niemand denkt über die Folgen nach. In Vitez und Zenica wird zwecks Sparmaßnahmen normalerweise für eine gewisse Zeit das Wasser abgestellt, da die Wassermenge sich reduziert hat, wahrscheinlich hat auch die illegale Abholzung der Wälder ihren Teil dazu beigetragen. Ich kann nicht verstehen, warum der Bau von Wasserkraftwerken an Gewässern mit Trinkwasser geplant ist. Warum sollte man das zerstören? Das sind Gewässer der ersten Kategorie! Vor dem Krieg hatten wir viele Fabriken, die enorm viel Strom verbraucht haben. Heute gibt es die Fabriken nicht mehr, wie kann es also sein, dass es an Strom fehlt? Wir haben sicherlich ausreichend Strom, aber offensichtlich ist der Export das Wichtigste. Wer ist für all das verantwortlich? Ich meine, dass in Zukunft Kriege wegen des Wassers geführt werden!
Ich bin überzeugt, dass wir einen großen Fehler machen. Können wir denn nichts von denen lernen, die Erfahrung haben? Müssen wir alles am eigenen Leib erfahren? Niemand geht davon aus. Erst kürzlich habe ich von einem Beispiel aus Österreich gehört, dort haben sie mit dem Abbau solcher Wasserkraftwerke begonnen, denn sie haben gemerkt, dass das Ökosystem angegriffen wird. Wegen dem Schaden, den sie an der Natur anrichten, haben sie mit dem Bau von Wasserkraftwerken aufgehört. In der Welt grassiert ein Virus der Gier und Korruption; die Menschen verkaufen sich für wenig Geld. Sie sind so gierig, dass ihnen egal ist, wie sie zu Reichtum kommen. Sie bekommen nie genug, wollen immer mehr. Aber sie denken nicht daran, dass ihnen alles Geld der Welt nichts nützt, wenn all dies (Anm. d. Verf.: die Natur) zerstört wird. Niemand denkt über die Zukunft nach, immer heißt es Ich will dies und das, und zwar noch heute! Nur denkt niemand daran, dass wir all dies vererbt bekommen haben, und dass auch die künftigen Generationen ein Recht darauf haben, diese Natur zu nutzen. Warum also heute schon alles zerstören? Das sollte nicht sein. Daher sind auch solche Kämpfe wie der unsere so wichtig. Ich hoffe, dass wir eine Welle der Veränderungen in Bosnien und Herzegowina anstoßen“, meint Tahira Tibold.
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[1] Es bleibt unklar, wie die ehemalige Ratsversammlung Kruščica ernsthaft behaupten konnte, dass diese zweifelhafte öffentliche Sitzung ausreichen würde für eine Entscheidung von solcher Wichtigkeit für die Gemeinde. Paragraph 80 der Satzung der Gemeinde Vitez besagt, dass der Ortschaftsrat in Einklang mit der Satzung Bürgerversammlungen einberufen kann, um über die Bedürfnisse und Interessen der Bürger/innen zu beraten und Vorschläge zur Lösung von Bürgerbelangen zu unterbreiten. Auch der etwas problematische Paragraph 67 regelt, dass eine Bürgerversammlung des Ortes vollwertige Entscheidungen treffen kann, wenn ein Zehntel der in die amtliche Liste der Wählerversammlung eingetragenen örtlichen Bevölkerung zugegen ist. Es sind nicht einmal Mechanismen notwendig, die ihnen Legitimität verleihen, und sollte dies doch der Fall sein, dann bräuchten sie die Unterschriften von 250 und nicht 40 Bürger/innen.
[2] Federici, Silvia. Feminism and the Politics of the Commons. Link: http://www.commoner.org.uk/wp-content/uploads/2011/01/federici-feminism-and-the-politics-of-commons.pdf .
[3] 1967 wurden in den Gemeinden Vitez und Zenica die endgültigen Vereinbarungen getroffen und die entsprechenden Beschlüsse verabschiedet, und bereits 1968 wurde der in der Ortschaft Krušćica mit dem Verlegen der Wasserleitungen begonnen. Bis Ende 1969 wurden Kaptagen an den Quellen errichtet und Wasserleitungsrohre von Krušćica-Zenica in einer Länge von 22 km verlegt, im selben Jahr auch in Betrieb genommen. Die maximale Kapazität der Quelle betrug 520l/sec, die sich laut Vereinbarung der Gemeinden wie folgt aufteilt: 23% für Vitez und 77% für Zenica. Quelle: Öffentlciher Kommunalbetrieb „VIK“ d.o.o. Zenica – VON DER GRÜNDUNG BIS HEUTE: http://www.vikze.ba/o-nama/historijat/
Ins Deutsche übersetzt von Alma Sukić, hbs Sarajevo